Diagnose im Bereich Autismus-Spektrum – Ja oder nein? – Gedanken

Lange habe ich gebraucht, um darüber endlich schreiben zu können.
Bereits im Januar 2017 wurde ich an der Uniklinik Köln diagnostiziert, doch erst jetzt finde ich Worte dafür.

Irgendwas ist anders – aber was?

Vor der Diagnose habe ich lange mit mir gehadert. Was stimmt nicht mit mir? Warum bin ich so anders als meine Klassenkameraden in der Schule? Warum mag ich keine Partys? Warum hasse ich Menschenmengen? Warum rede ich nicht gerne mit fremden Menschen? Warum bin ich am liebsten alleine in meinem Zimmer? Warum klappt es mit den Freunden nicht? Fühlen und sehen andere Menschen auch Wellen? Warum esse ich immer dasselbe und WARUM stört das andere Menschen? Woher kommen diese ganzen Wutausbrüche? Warum sage ich Dinge, die ich gar nicht sagen will?

Viele Fragen schwirrten mir im Kopf herum, als ich mit 13 Jahren begriff, dass das was ich mache, tue und sage nicht dem Standart der Jugend entspricht. Ich fühlte mich anders, ich war anders und wurde auch von anderen als anders wahrgenommen. Warum? Darauf konnte mir niemand eine Antwort geben. Bis ich mit 20 Jahren (im Jahr3 2013) die Aufgabe erhielt, mir ein Thema für meine Facharbeit auszusuchen. Es zog mich zu dem Lernfeld „Besondere Bedürfnisse – Unterschiedlichkeit und Vielfalt leben“ hin und schnell fand ich auch ein Thema in diesem Bereich: „Soziale Integration von Kindern mit Autismus in einen Kindergarten mit Hilfe von Alltagsritualen.“ Schnell stellte ich fest, dass vieles, was ich dort niederschrieb auch auf mich zutraf. Ich lernte mich zum ersten Mal richtig kennen und wusste auf einmal Antworten auf meine so zahlreichen Fragen.

Ohne Diagnose Sicherheit gewinnen – geht das?

Eine ungefähre Orientierung – ob ja oder nein – erhielt ich damals durch einen ersten Online Test. Natürlich war mir klar, dass ein Online-Test keine gesicherte Diagnose eines Psychiaters ersetzt, aber er kann ein entscheidender Wegweise sein. =>http://rdos.net/eng/Aspie-quiz.php
Nachdem ich über Wochen und Monate hinweg immer mal wieder solche Tests durchführte und immer ähnliche Ergebnisse herauskamen entschloss ich mich, mich in einem Forum für Menschen aus dem Autismus-Spektrum anzumelden. Ich erhielt nun die Möglichkeit, mich mit anderen Autisten auszutauschen, konnte über das Leben im Autismus-Spektrum lesen und fing an, mich immer besser zu verstehen und zu akzeptieren.
Irgendwann aber kam der Wunsch auf, es „richtig“ wissen zu wollen. Zu erfahren, ob ich mit meiner Vermutung wirklich richtig lag. Meine Mutter war da leider anderer Meinung: „Du brauchst keine Diagnose, um autistisch zu sein. Du weißt doch selbst am besten, wer du bist. Niemand anderes kann einem das sagen. Auch kein Psychiater.“ Natürlich sind wir alle indivuell, haben andere Wünsche, Vorstellungen und Ideen. Aber manchmal gibt es da eben diese eine Person, die es genauer wissen will.

Doch eine Diagnose wurde zunächst einmal verschoben mangels entsprechender Hilfe.

Diagnose? – Diagnose !

Natürlich hat eine Diagnose, wie so viele andere Sachen auch, Vor- und Nachteile.

Vor der Diagnose wog ich natürlich nicht ab, ob diese sinnvoll ist oder nicht. Ich wollte es einfach wissen. Und so kam es schlussendlich auch zu einer – im Jahre 2016/2017. Also ganze drei Jahre nach meiner ersten Selbstdiagnose.

Grund dafür war zum einen, dass es da auf einmal jemanden gab (siehe auch Aspi und NT) der sich für mich interessierte und mir helfen wollte. Zum anderen kam ein weiterer wichtiger Aspekt in Betracht: Ich konnte einfach nicht mehr. Mit dem ständigen Versuch, “neurologisch typisch” zu wirken und vor allem zu sein (was in meinem Job besonders wichtig ist), war ich mehr und mehr überfordert von dieser Situation. Ebenso war ich ausgelaugt, kaputt, müde. Bisher habe ich, ein Jahr nach der Diagnose – nur ein Hilfsmittel zur Unterstützung zur Bewältigung meines Alltages erhalten – meine zweiten Ohren. Leider musste ich feststellen, dass ich auch mit Diagnose nicht die Unterstützung erhalte, welche ich mir im Nachhinein erhofft hatte.

Fazit

In erster Linie strebte ich ein gesichters Wissen an. Ich wollte nicht mein Leben damit verbringen zu ahnen, dass ich autistisch sein könnte. Ich wollte wissen ob ich mich irre oder richtig liege. Das war der Hauptgrund der Diagnose.

Nebenbei auftretender Grund war die mögliche Inanspruchnahme diverser Hilfen die bis dato noch nicht sehr weit gediehen sind. Ein Antrag auf einen Schwerbehindertenausweis wurde abgelehnt – lediglich 30% gestanden sie mir zu, OHNE zu wissen, wie mein Leben tatsächlich abläuft. Aber hier ist der Kampf noch nicht verloren.
Vor einer Diagnose sollte auf jeden Fall überlegt, welche Unterstützung man braucht und wie bzw. woher man sie bekommen kann. Dann kann man darüber nachdenken, ob eine Autismus-Spektrum-Diagnose dafür unbedingt nötig ist oder ob einem die Selbstdiagnose reicht.

Und wem die Selbstdiagnose nicht reicht, der kann sich natürlich diagnostizieren lassen.

Bereut habe ich es bisher nicht – im Gegenteil – ich habe mich und mein Verhalten besser verstehen und lieben lernen können.

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